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Weihnachtsaktion 2011 in Bocsa, Rumänien

15.-24. Dezember 2011
von P. Rolf-Philipp Schönenberger

Zwischen dem 1. und 13. Dezember sind mehrere Sattelschlepper in Richtung Ukraine, Rumänien und Lettland aufgebrochen. Beladen mit tausenden Lebensmittelpaketen, Süssigkeiten, warmer Kleidung, Spielzeug, gut gefüllten Schulranzen, Betten, Möbeln u.v.a. mehr. Jeweils zur Weihnachtszeit wird in Luxemburg, der Schweiz, in Deutschland und Österreich diese Aktion durchgeführt und von vielen grosszügigen Spendern und zahlreichen freiwilligen Mithelfern unterstützt. Verteilt werden diese Hilfspakete vor Ort von den Verantwortlichen und Mitarbeitern der Osteuropahilfe «Triumph des Herzens».

Sattelschlepper mit Hilfsgütern

In Bocsa, einer Kleinstadt in Rumänien mit rund 17‘000 Einwohnern, laufen derweil die Vorbereitungen auf Hochtouren. Rund 35 Administratoren aus den einzelnen Stadtquartieren haben die ärmsten Familien in Bocsa ausgesucht. Der Vertreter der Osteuropahilfe trifft sich mehrmals mit ihnen und im Besprechungsraum werden die einzelnen Quartiere auf einer 5 Meter langen Karte dargestellt. Genaue Listen der bedürftigen Familien werden erstellt und die Familien informiert, dass sie ein Hilfspaket erhalten werden. Die Aktion erfasst das ganze Gebiet der Stadt, angefangen von Bocsa-Romana, dem Quartier Vasiova über Bocsa-Montana bis hin zum Armenviertel Bocsa-Magura.

Studenten im örtlichen Lyzeum

40 Studenten des örtlichen Lyzeums nehmen als freiwillige Helfer an der Verteilung teil. Sie sind im grossen Saal unseres Kinderzentrums in Bocsa eingetroffen und werden sorgfältig über den Sinn der Aktion für die Bevölkerung instruiert. Dann treffen die Lastwagen ein und müssen zuerst entladen und die Pakete im grossen Lager für die Verteilung bereitgestellt werden.

Verteilung von Lebensmittelpaketen

Eine Woche vor Weihnachten geht’s dann los. Während zehn Tagen werden von frühmorgens bis am späten Abend die Lebensmittelpakete an die Bevölkerung verteilt. Rund 7‘000 Personen - oder 40% der ganzen Bevölkerung der Stadt Bocsa  - kommen in den Genuss der Hilfspakete, welche Lebensmittel im Wert von ca. 50 Euro enthalten. Etwa 2‘500 Geschenke aus der Schweiz werden in den Schulen von Bocsa an Kinder verteilt. Etwa 500 Geschenke für Kinder werden an verschiedene Kirchen aller Konfessionen in der Region abgegeben. Auch die rund 110 Kinder, welche wir in unserem Kinderzentrum betreuen, erhalten jedes ein Geschenk. Am 22. und 23. Dezember finden abschliessend zwei Weihnachtsfeiern statt, an welchen je über 300 Personen teilgenommen haben.

Helferinnen und Helfer

Verhältnisse wie im Mittelalter

Die Armut der Bevölkerung ist erschreckend. In mehreren vierstöckigen Wohnblocks wohnen auf einer Etage zwanzig Familien in jeweils einem oder zwei Zimmern, ohne Toiletten. Für die zwanzig Familien gibt es im Flur gerade mal drei kleine türkische Stehtoiletten in einem Raum. Die meisten Familien können das Gas nicht einschalten, weil sie es nicht bezahlen können. Dasselbe gilt für Elektrizität. Viele Familien leben ohne Licht, weil es für sie zu teuer ist. Ich habe einzelne Wohnungen gesehen, in denen Feuer ausgebrochen war, die aber nie renoviert wurden. Die Menschen leben buchstäblich in Höhlen. Jeder versucht durchzukommen wie er kann.

Alte Wohnung

Alle Familien in diesem Viertel haben sich ein Loch aus der Wand geschlagen und ein Rohr ins Freie geführt, damit sie mit Holz feuern können. In den Treppenhäusern trifft man überall auf Holzbeigen. Das Holz liegt zwar massenhaft in den Wäldern herum, aber es ist verboten, es aufzusammeln. Die Polizei drückt offenbar ein Auge zu, weil man überall kleine Pferde- oder Eselfuhrwerke sieht, die Holz aus der Umgebung herbeiführen. In den ärmsten Quartieren wurde der angrenzende Wald buchstäblich abgeholzt, zurück bleibt ein verwüstetes Gebiet. Aber die Menschen müssen sich wehren, dass sie die kalten Winter, die Temperaturen bis -2O° Celsius mit sich bringen, überleben können. Nicht selten sterben Menschen auch an Erfrierungen.

Wohnblock in schlechtem Zustand

Sogar in den Pfarrhäusern habe ich Pfarrhaushälterinnen angetroffen, bekleidet mit Mantel und Mütze. Auch die Pfarrer können in vielen Gemeinden das Gas nicht einschalten, weil das Geld nicht reicht. Einzelne Priester haben mir verraten, dass sie keinen Lohn bekommen. Alles, was sie haben, bringen ihnen die Gläubigen, die so arm sind, dass sie nicht einmal die umgerechnet Fr.10.-- Kirchensteuer im Jahr bezahlen können. Deshalb bringe ich Tausende von Franken an Mess-Stipendien für die Priester, die davon leben müssen. Leider ist das Stipendium  klein, alles wird teurer, nur die Stipendien sind vermutlich schon über 50 Jahre dieselben!

Ältere Frau wird umsorgt

Auch in den Quartieren, wo die Menschen in kleinen Häusern wohnen, manchmal mit einem kleinen Gemüsegarten, einem Schwein und einigen Hühnern, war die Armut entsetzlich. Familien mit mehreren Kindern haben mir weinend ihren Kühlschrank gezeigt: "Schauen Sie Herr Pater, was wir für die Festtage zum Essen haben". Im Kühlschrank waren gerade mal einige Eier, sonst nur leere Fächer. Küchen gibt es keine. Gekocht wird auf einem Holzofen im Schlaf- oder Wohnzimmer. Kein Wasser, kein Gas, die meisten seit Monaten ohne Strom. Wasser vom Ziehbrunnen des Quartiers, Toiletten im Garten. Viele Familien leben in feuchten, baufälligen Räumen. Ich habe viele kinderreiche Familien – manche mit bis zu 16 Kindern - in bloss zwei Zimmern angetroffen, der Vater arbeitslos. 40% der Bevölkerung leben in Armut.

Leerer Kühlschrank

Mehrmals haben wir erlebt wie vor den Häusern auf offener Strasse ein Schwein geschlachtet wurde, das unter mehrere Familien verteilt wurde. Die Innereien werden an Ort und Stelle im Salzwasser gekocht und gegessen. Auch mir wurde mehrmals frischenthaarte, gebrannte Schweinehaut zum Essen angeboten, aber ich konnte mich nicht überwinden diese "Köstlichkeit" anzunehmen, die ich vor aller Augen hätte essen müssen... In einem Stadtteil, in der Magura, leben die Familien ohne Wasser, ohne Strom, ohne Toiletten. Man geht einfach in den Wald, Kinder und Erwachsene... und das in Europa! Als mir ein junger Familienvater begeistert sein neues Haus, bestehend aus zwei Zimmern im Rohbau zeigte, fragte ich ihn, wo denn der Waschraum und die Toilette vorgesehen sei. "Das gibt es bei uns nicht, wir gehen alle in den Wald...!"

Verteilen von Fleisch an Familien

Eine Studentin kam am Morgen völlig erkältet zur Verteilung. Erst während des Tages habe ich von einem Mitstudenten erfahren, dass ihre Familie kein Holz kaufen kann für den Winter und dass das Mädchen vor Kälte in der Nacht nicht schlafen konnte. Die Stiftung hat darauf der Familie Holz für den ganzen Winter gekauft. Es ist ein Fass ohne Boden und es tut sehr weh, hautnah zu erleben , dass auch unsere finanziellen Mittel begrenzt sind.

Kinder in alter Wohnung

Am Heiligabend und in den kommenden Tagen war ich innerlich ganz leer. Ich hatte diese schrecklichen Bilder vor Augen, wie die Familien mit ihren Kindern leben müssen, wie sie wohl Weihnachten feierten. Ein Junge hat mir erzählt, dass sie am Weihnachtstag früh ins Bett geschickt werden, weil die Eltern keine Geschenke für sie haben. Deshalb war die Freude bei den Kindern und Erwachsenen übergross, erfüllt von Dankbarkeit, dass sie von Menschen aus der Schweiz und Luxemburg beschenkt wurden. Die strahlenden Kinderaugen beim Öffnen ihrer Geschenke, war gewiss mein grösstes Weihnachtsgeschenk.

Kinder erhalten Weihnachtsgeschenke

Ein herzliches Dankeschön an alle, die diese Aktion unterstützt haben

Ganz herzlichen Dank an die unbekannten Herzen so vieler Familien und Menschen, welche diese Aktion unterstützt haben, an den Gemeinderat der Stadt Bocsa, an die regionalen Partner und Organisationen, die uns geholfen haben und besonders an die Veranstalter in der Schweiz und in Luxemburg. Ihnen allen übermittle ich den besonderen Dank der Familien und Kinder von Bocsa, die durch Sie die Kraft und Einheit der Liebe erfahren durften.

Fotogalerie

Eine Woche lang waren die rund 40 Helfer der Stiftung «Triumph des Herzens» von früh bis spät in der Stadt Bocsa und in den Dörfern der Region unterwegs, um die Lebensmittel- und Weihnachts- Pakete an die Bevölkerung und an die Kinder verschiedener Schulen zu verteilen.

Betreuer und Helfer
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