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Ein gewaltiges Nachbeben erschüttert Nepal

12. bis 17. Mai 2015
Einsatzbericht von Björn Apostel und Germaid Ponge

Nach diesem wunderbaren und bewegenden Tag in Alam Dada 6 haben wir die Nacht erneut in Hanumans Heim in Trishuli, nahe Devighat, verbracht. Die restlichen Lebensmittel haben wir in Hanumans Dorf gelassen. Es waren noch einige Sack Reis und Bohnen übrig, die er an Bewohner seines Dorfes verteilen wird.

Am nächsten Vormittag spazierten wir alle noch einmal durch das Dorf Trishuli. Wir trafen einen alten Mann, der mit seiner Frau in einer sehr provisorischen Hütte hauste, die aus Planen und Stöckern bestand. Sein Haus ist komplett zusammengefallen. Er und seine Frau sind selbst zu alt, um sich erneut etwas aufzubauen. Selbst hat das alte Ehepaar kein Land und nur eine geistig behinderte Tochter. Wir haben beschlossen, diesem alten Ehepaar zu helfen und ihnen eine gute Hütte aus Wellblech und Bambus bauen zu lassen.

Zusammengefallenes Haus aus Planen und Stöckern

Mit den Motorbikes ging es dann weiter in umliegende Dörfer, um auch dort einmal zu schauen, wer unsere Hilfe benötigt. Ein alter Mann erzählte, er wundere sich, dass immer so oft Helikopter über sein Dorf fliegen, doch niemals einer davon herunter kommt und ihnen Hilfsgüter bringt. Auch der Gouverneur sei schon durch das Dorf marschiert und habe fleissig in sein Notizbuch geschrieben. Man hat ihn danach jedoch nicht wieder gesehen. Dabei lächelte der Alte mich mit einem einzigen Zahn im Mund schelmisch an. Eines der Dinge, die wir hier in Nepal gelernt haben zu bewundern. Die Menschen werden durchgeschüttelt von Erdbeben, verlieren alles, ihr Haus, ihre Familienmitglieder, ihre Lebensgrundlage und am Ende stehen sie aufrecht dort und schenken dir ein Lächeln.

Kinder vor zerstörter Schule

Wiederaufbau einer Schule in Trushuli

Die Lage in den umliegenden Dörfern war einigermassen stabil, doch als wir weiter die Felder herunter spazierten kamen wir zur Dorfschule oder besser gesagt zu dem was einmal eine Schule war. Zwei Gebäude für insgesamt drei Grundschulklassen lagen komplett zerstört auf einem Hügel. Die Aussicht von hier auf die Berge war einfach nur bezaubernd. Auf dem Schulhof spielten die Kinder vor den Trümmern ihrer ehemaligen Klassenzimmer. Der Unterricht findet seit dem ersten grossen Beben nicht mehr statt, doch morgen will der Lehrer unter zwei Zeltplanen den Unterricht wieder aufnehmen. Kurzerhand fassten wir den Plan, hier beim Wiederaufbau zu helfen. Natürlich müssen wir dazu einiges an Finanzen klären, doch der grobe Plan steht schon mal.

Komplett zerstörte Schule

Weitere gewaltige Nachbeben erschüttern erneut Nepal

Nachdem wir nun einige Dörfer mit Soforthilfe durch Zeltplanen und Nahrung versorgt hatten, sollte der nächste Schritt der Wiederaufbau sein. Doch dann passiert etwas, was uns wieder auf Punkt Null zurückwerfen sollte. Wir waren gerade im Bus auf dem Heimweg von Devighat nach Kathmandu. Der Bus holperte über die steinigen Strassen, was nicht ungewöhnlich ist für die nepalesischen Strassen. Doch das, was uns schüttelte waren nicht die Verhältnisse der Wege, sondern ein weiteres starkes Beben von der Stärke 7,1. Zuerst war uns das gar nicht bewusst, doch dann sahen wir von überall die Menschen auf die Strassen laufen. Alle zeigten auf die Berge. Dort sah man Staubwolken aufsteigen. Erneut sind Häuser in sich zusammen gefallen. Auf dem weiteren Weg hatten wir zu allem Überfluss auch noch eine Panne mit unserem Bus.

Verängstigte Bewohner

Nach einigen Stunden Verzögerung erreichten wir schliesslich Kathmandu. Viele Menschen standen auf der Strasse, einige Strassen waren abgesperrt und wir mussten Umwege zu unserem Guesthouse nehmen. Viele verliessen schon wieder die Stadt. In unserem Guesthouse erfuhren wir, dass sich hier die Erde ganze 30 Sekunden geschüttelt hat. Dies war definitiv kein Nachbeben. Ab jetzt galt Ausnahmezustand. Keiner wusste, was als nächstes passieren sollte. Sollten wir die Stadt besser verlassen, weil es in den engen Gassen von Thamel zu gefährlich werden könnte? Können wir überhaupt weiter machen mit unserem Plan des Wiederaufbaus? Oder müssen wir gar ganz von vorn anfangen mit der Nothilfe? Wie ist die Lage in den Dörfern, die wir schon unterstützt haben? Fragen über Fragen! Ad Hoc haben wir auf der Strasse die überteuerten Zeltplanen aufgekauft und sind mit Bikes losgefahren durch die Stadt. Überall haben sich die Menschen ihr Nachtlager auf der Strasse hergerichtet und benötigten dafür Zeltplanen. Am Ende des Tages entschieden wir uns selbst draussen unter freiem Himmel zu campieren. Der Besitzer unseres Hostels hat für uns einen wunderschönen Platz im Garten hergerichtet. Es war gemütlich. Wir sassen noch beisammen und haben gelacht und getrunken, denn wir musste uns ablenken, von dem unguten Gefühl, was jeder in der Magengegend spürte. Was wird noch folgen?

Zeltlager als Notunterkünfte

In der Nacht sollten wir die Antwort bekommen. Um 2 Uhr wurden wir geweckt von einem heftigen Schütteln. Die Erde war wieder spürbar in Bewegung. Erschrockene Menschen um uns fingen an zu schreien. Doch wir waren sicher, sicher auf der Erde, fern von den Häusern. Alles war gut! Wir müssen hier so langsam akzeptieren, dass sich die Erde nun mal unter uns bewegt. Was wir tun können ist, uns nicht in die Angst zu begeben, sondern in das Vertrauen, dass schon alles gut werden wird und dass wir behütet sind. Viele Gespräche dieser Tage handeln von diesem Vertrauen und der Aufmerksamkeit für den jetzigen Moment, den wir hier alle erlernen. Auch am nächsten Tag… Jeder ist sich zu jeder Zeit bewusst, welchen Schritt er tut. Jeder überlegt, wo kann man am schnellsten hinlaufen, wenn es nochmal passiert? So gut wie alle Läden sind momentan wieder geschlossen. Thamel hat sich innerhalb weniger Stunden erneut in eine Geisterstadt verwandelt.

Zerfallenes Haus

Doch wie gesagt, die Erde ist in Bewegung und wir müssen uns einfach mit ihr bewegen und flexibel bleiben. Jetzt können wir nicht mehr an alten Plänen festhalten. Wir schmieden neue… so langsam kehrt wieder ein besseres Gefühl ein. Die letzte Nacht schliefen wir wieder draussen. Zuvor haben wir gesungen und Gitarre gespielt im Innenhof des Guesthouses. Es war nötig die Stimmung zu lockern. Germaid hat einen ihrer Songs gespielt, alle hörten fasziniert zu. Nach dem Lied kam jemand zu uns gerannt und hat gerufen: “Habt ihr das eben gespürt? Es gab wieder ein Nachbeben!” Nein, keiner von uns hat etwas gespürt. Alle waren von der Musik ergriffen und alle fühlten sich gut. In diesem Moment war alles friedlich und angstfrei und die Tatsache, dass die Erde sich bewegt, war einfach da, aber kein Grund zur Panik mehr. Wir schliefen alle sehr gut in dieser Nacht.

Bewohner schlafen in Zelten

Heute ging es an die neuen Pläne. Das nächste Ziel soll heissen: Sindhupalchock. Eine Region, die wir bereits einmal versorgt haben. Diese Region war bei beiden grossen Beben am stärksten betroffen, neben dem Epizentrum Gorkha. Kein Stein steht hier noch auf dem anderen und wer weiss, wie es seit dem letzten Beben hier aussieht. Es sind bereits Truckladungen mit Wellblech von uns dorthin gebracht worden. Wir wollen folgen und im Dorf helfen, die Hütten zu bauen, die die Menschen über den Monsun bringen können. Wann genau die Reise losgeht, hängt von den Strassenverhältnissen ab. Wir halten euch auf dem Laufenden.

15. und 16. Mai 2015 - Vorbereitungen für den Wiederaufbau in Nuwakot

Fast drei Wochen sind wir nun in Nepal und gestern am 16. Mai haben wir uns das erste Mal eine kurze Auszeit gegönnt. Zwar gab es immer noch einige Telefonanrufe zu erledigen, aber danach hieß es, ein wenig Schlaf nachholen, ausgiebig essen und ein bisschen Kraft auftanken.

Heute am Ende des Tages steht nun der Plan für die nächste Woche. Nachdem wir vor zwei Tagen doch nicht in die Region Sindhupalchock aufbrechen konnten, da die Straßen und das Gebiet durch viele Erdrutsche zu gefährlich geworden sind, werden wir nun nach Nuwakot fahren und dort mit dem Wiederaufbau der Dörfer beginnen. Hierfür gab es jedoch einiges zu erledigen. Den heutigen Vormittag haben wir damit verbracht, durch die Stadt zu marschieren, auf der Suche nach Wellblech und Werkzeug. Wir haben einen sehr guten Deal gemacht und morgen um 8:30 Uhr wartet nun eine LKW-Ladung mit insgesamt 760 qm Wellblech für insgesamt umgerechnet 1'740 EUR auf uns. Das ist aber erst der Anfang. Mit dieser Ladung ist der Grundstein gelegt, damit 15 Häuser und eine Schule wieder in der Region Nuwakot wieder aufgebaut werden können.

Wellblechlager

Björn hat heute einen Prototypen gebaut, um Licht auf ganz einfache Weise in einer Wellblechhütte zu erzeugen. Das System heißt “Liter of Light”. Man fülle eine Plastikflasche mit Wasser und ein bisschen Chlor auf. Dann schneide man ein Loch in ein Stück Wellblech, welches Teil des Daches einer Hütte wird. Man bastele die Flasche in das Dach ein, versiegele es mit Silikon und fertig ist der “Liter of Light”. Durch die Sonneneinstrahlung auf die Wasserflasche wird das Licht in der Hütte reflektiert, sodass die Menschen in ihren Wellblechhütten ohne Fenster tagsüber mit Licht versorgt sind. Das Licht welches reflektiert wird, kommt einer 40 Watt Glühbirne gleich. Diese innovative Idee wollen wir in den Dörfern ebenfalls umsetzten.

Björn baut einen Prototypen "Liter of Light"

Der Rest des Tages wurde dazu genutzt noch einige Zeltplanen in Kathmandu an Familien zu verteilen. Jetzt packen wir unsere Sachen, denn wir werden unser Guesthouse und unsere Basisstation Kathmandu morgen verlassen. Unser Guesthouse wird schließen, so wie viele andere Hotels und Läden in der Stadt. Die Menschen fühlen sich hier nicht mehr sicher. Unsere neue Heimat heißt Nuwakot. Hier werden wir in den nächsten Wochen versuchen, so vielen Dörfern wie möglich beim Wiederaufbau zu helfen. Denn in 4 Wochen beginnt der Monsun und bis dahin wollen wir so vielen Familien wie möglich ein sicheres und trockenes Heim geschenkt haben. Um diese Pläne umsetzten zu können, benötigen wir natürlich weiterhin eure Spenden.

Vielen Dank für all eure Unterstützung, sei es finanziell oder in Form von guten Gedanken. Wir sind euch allen sehr dankbar, dass wir durch eure Hilfe hier so viel leisten können und Menschen helfen können.

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Fotogalerie

Ein zweites, schweres Erdbeben hat am 12. Mai erneut die Region von Kathmandu hart getroffen. Die Menschen sind verunsichert und trauen sich nicht mehr, in ihrem Häusern zu übernachten. Noch immer sind in den Dörfern in der Region Nuwakot keine Hilfstruppen der Regierung eingetroffen. In vier Wochen wird der Monsun die ohnehin unwegsamen Gebiete vollständig unzugänglich machen.  Unser Team, dass seit drei Wochen Hilfsgüter, Zelte, Nahrung und medizinische Hife in diese Dörfer bringt, braucht dringend finanzielle Unterstützung, damit in der verbleibenden Zeit Wellblech gekauft und den Menschen gezeigt werden kann, wie sie mit einfachsten Mitteln regenfeste Unterstände bauen können.

Bewohner sitzt auf Trümmerhaufen
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Links

"Liter of Light" ist eine Methode, mit einfachsten Mitteln aus einer Petflasche eine Solarlampe zu machen. Sie wird sehr erfolgreich in Gebieten eingesetzt, wo Menschen ohne Strom und in einfachsten Verhältnissen leben müssen.

Help Nepal now: Björn und Germaid haben einen eigenen Blog eingerichtet, auf dem sie ihre laufenden Berichte veröffentlichen.

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